Monoklonale Antikörper – ungeimpft?

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Aktive Impfungen bieten einen deutlich anhaltenderen und robusteren Schutz, aber neutralisierende Antikörper sind laut PD. Dr. Spinner ausschließlich für nicht aktiv impfbare Personen sinnvoll.

Auszug aus dem Positionspapier:

Zusammenfassung
Eine aktive Immunisierung gegen Infektionen mit SARS-CoV-2 ist neben der Reduktion des Expositionsrisikos die wirksamste Prävention vor COVID-19 und schweren Verläufen. Die Wirksamkeit setzt ein funktionierendes Immunsystem voraus, welches in der Lage ist eine adäquate Immunreaktion nach der Impfung aufzubauen. Für Patienten mit einer relevanten Störung des Immunsystems, z.B. durch eine onkologische Erkrankung, Chemotherapie, Immuntherapie, rheumatologische Systemerkrankung oder einen angeborenen Immundefekt hat sich gezeigt, dass diese ein hohes Risiko für ein serologisches Impfversagen aufweisen. Gleichzeitig haben diese Patientengruppen das höchste Risiko für schwere oder tödliche COVID-19 Verläufe. Durch die Verfügbarkeit von SARS-CoV-2 neutralisierenden monoklonalen Antikörpern (nMABs), welche gegen die aktuell dominante Delta-Variante (B.1.617.2) wirksam sind, besteht die Möglichkeit einer passiven Immunisierung für Risikogruppen, die nicht oder nicht ausreichend durch eine Impfung geschützt werden können. Der Schutz ist hierbei variantenabhängig, weil sich sogenannte variants of concern (VOC) durch Mutationen in der Rezeptor-bindenden Domäne entziehen können.

Die Kombination von Casirivimab/Imdevimab (Ronapreve®), erhielt kürzlich nach der positiven Bewertung der Europäischen Arzneimittel Agentur (EMA) vom 12.11.2021 die Marktzulassung für den therapeutischen und prophylaktischen Einsatz in der Europäischen Union. Die Verabreichung erzielte in Studien eine Reduktion von symptomatischen SARS-CoV-2 Infektionen um 81,4% bei nichtinfizierten Personen nach SARS-CoV-2 Expositionen im Haushalt. Der protektive Effekt in der Woche 2-4 nach Verabreichung war mit 92,6% noch höher. Neue Daten aus einer Placebo kontrollierten Phase I Studie weisen auf anhaltend hohe Wirkspiegel und einen protektiven Effekt bei wiederholter subkutaner Verabreichung alle 4 Wochen hin (1). Das Nutzen-/Risikoverhältnis für Casirivimab/Imdevimab ist bei guter Verträglichkeit günstig. Bei subkutaner Verabreichung können lokale Reaktionen wie Rötungen, Juckreiz, Ödeme und Schmerzen an der Einstichstelle auftreten. Anaphylaktische Reaktionen bei intravenöser Verabreichung sind sehr selten.
Trotz der Zulassung von Casirivimab/Imdevimab zur Applikation als PrEP ist die SARS-CoV-2 PrEP kein Leistungsbestandteil der gesetzlichen Kostenträger. Das Bundesministerium für Gesundheit hat mit der Änderung der Monoklonale-Antikörper-Verordnung (MAKV) vom 23.11.2021 jedoch die Rahmenbedingungen auch für den prophylaktischen Einsatz von nMAB geschaffen werden, welche im Rahmen der Anschaffung für die Bundesnotfallreserve verfügbar sind. Auf längere Sicht müssen die Rahmenbedingungen für eine Erstattbarkeit von nMAB mit vorhandener Marktzulassung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen geschaffen werden.

Hintergrund und Problemstellung
Das Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf einer SARS-CoV-2 Infektion unterscheidet sich stark zwischen unterschiedlichen Altersgruppen und wird zusätzlich durch das Vorliegen von Komorbiditäten geprägt. Eine aktuelle Auswertung der Daten von 30 Millionen Versicherten bei der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) macht deutlich, dass Patienten mit geschwächtem Immunsystem ein stark erhöhtes Risiko für schwere COVID-19 Verläufe aufweisen. Der Anteil Patienten mit schweren COVID-19 Verläufen lag in der Analyse für diese Patientengruppen bei bis zu 31,5%, wobei in Therapie befindliche Patienten mit einer hämato-onkologischen Grunderkrankung als bedeutendste Risikogruppe bei Erwachsenen identifiziert wurden (2). Die meisten pädiatrischen Patienten mit hämato-onkologischen Erkrankungen, die eine SARS-CoV-2 Infektion erleiden, haben leichte Verläufe. Im wöchentlich aktualisierten Survey der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie zeigt sich aktuell keine auffällige Häufung von schweren Verläufen bei onkologischen und immunsupprimierten Patienten (https://dgpi.de/covid-19-survey-update). Dennoch benötigen laut internationaler Erhebungen etwa 10% eine intensivmedizinische Betreuung und 3% der Kinder mit Krebserkrankung versterben an der Infektion (3, 4).
Gleichzeitig zeigt sich bei immunsupprimierten Patienten ein schlechtes Ansprechen auf eine aktive Immunisierung mit verfügbaren Impfstoffen. Die Effektivität von mRNA basierten Impfstoffen lag in einer vorveröffentlichten Fall-Kontroll-Studie bei lediglich 59,2% gegenüber 91,3% bei Patienten ohne Immunsuppression (5). Bei Organtransplantierten konnten in einer weiteren Studie adäquate Impfantworten nur bei 17% nach der ersten Dosis und 54% nach der zweiten Dosis einer mRNA-Vakzine gezeigt werden (6, 7). Das Impfansprechen bei Patienten mit einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) ist höchst wahrscheinlich deutlich schlechter. Bei Patienten mit CLL unter zytostatischer Therapie ist praktisch keine Impfantwort zu erwarten (8). Gleiches gilt für Patienten mit rheumatologisch-immunologischen Krankheitsbildern, welche unter einer Therapie mit Mycophenolat, Abatacept oder insbesondere mit Rituximab stehen (9-11). Ein schlechtes Ansprechen auf eine aktive Immunisierung zeichnet sich ebenfalls in der Tatsache ab, dass ein Großteil der Krankenhausaufnahmen von vollständig geimpften Patienten, die an COVID-19 erkranken immunsupprimierte Patienten betrifft. Dies zeigte sich in einer Analyse aus Israel (12) und deckt sich mit unseren bisherigen Erfahrungen in Deutschland. Die aktuellen Impfempfehlungen des Robert Koch Instituts sehen bei Patienten mit erwartbar stark verminderter Impfantwort zur Optimierung der primären Impfserie bereits eine zweite Boosterimpfung 4 Wochen nach der ersten Boosterimpfung vor (13). In der klinischen Praxis zeigt sich jedoch, dass stark immunsupprimierte Patienten auch nach adäquater Grundimmunisierung und Booster-Impfung Impfung häufig keinerlei Antikörper gegen SARS-CoV-2 bilden können (14).
Zusammenfassend kann daher konkludiert werden, dass es für diese höchst vulnerable Patientengruppe aktuell keine hinreichenden präventiven Strategien gibt, insbesondere nicht für Patienten, die keine Immunantwort auf eine aktive Immunisierung zeigen (serologisches Impfversagen).

Passive Immunisierung gegen SARS-CoV-2
Die passive Immunisierung durch Verabreichung von nMABs mit spezifischer antiviraler Aktivität ist ein etabliertes präventives Konzept für Infektionserkrankungen wie Hepatitis B oder Tollwut nach potentiellen Expositionen (Post-Expositionsprophylaxe). Die Einnahme von antiviralen Wirkstoffen vor einer Exposition (Prä-Expositionsprophylaxe) mit dem Humanen Immundefizienzvirus (HIV) kann eine Infektion mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verhindern (15).
Für die in Deutschland verfügbaren SARS-CoV-2 neutralisierenden monoklonalen Antikörper (nMAB)-Präparate Bamlanivimab/Etesevimab und Casirivimab/Imdevimab belegen Studienergebnisse, dass eine frühzeitige Verabreichung bei ambulanten COVID-19 Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf das Mortalitätsrisiko sowie das Risiko von schweren Verläufen, Krankenhausaufnahmen und/oder COVID-19-relatierten Arztkontakten reduziert und zu einer schnelleren Reduktion der Viruslast führt (16-19). Die Verabreichung von Casirivimab/Imdevimab zeigte ebenfalls eine Mortalitätsreduktion bei hospitalisierten Patienten in der Frühphase von COVID-19, die noch keine endogenen IgG-Antikörper entwickelt hatten (20, 21) und wird auf dieser Grundlage in der aktuellen S3-Leitlinie empfohlen (22). Weiterhin konnte in einer klinischen Studie (COV-2069 [NCT04452318]) an nicht infizierten Personen mit SARS-CoV-2 Expositionen im Haushalt gezeigt werden, dass die subkutane Verabreichung von Casirivimab/Imdevimab im Rahmen einer Postexpositionsprophylaxe das Risiko reduziert, eine symptomatische COVID-19-Erkrankung zu bekommen. Die Verabreichung von jeweils 600 mg Casirivimab und Imdevimab führte zu einer absoluten Risikoreduktion von 7,8% auf 1,5% (relative Risikoreduktion 81,4%) für eine symptomatische Infektion bis zum Tag 28. Ausreichend hohe Wirkstoffspiegel (30,4 mg/L an Tag 28) wurden nach Verabreichung einer einmaligen subkutanen Dosis anhaltend nachgewiesen (19, 23). Die Schutzwirkung war bezogen auf Woche 2-4 nach Verabreichung ebenfalls anhaltend hoch (absolute Risikoreduktion 3.6% auf 0.3% entsprechend 92,6% relative Risikoreduktion gegenüber Placebo), wodurch ein Nutzen in der Primärprävention belegt ist (23). Eine wiederholte vierwöchige subkutane Verabreichung von Casirivimab/Imdevimab wurde im Rahmen einer randomisiert und Placebo kontrollierten Phase I Studie an 969 Probanden untersucht. Im veröffentlichten Preprint der Studie beschreiben die Autoren über einen Zeitraum von 24 Wochen eine absolute Risikoreduktion von 4,2% auf 0% (100% relative Risikoreduktion) für das Auftreten von mittels PCR bestätigtem COVID-19 (1).
Die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) bewertet das Nutzen-/Risikoverhältnis von Casirivimab/Imdevimab zur Therapie und Prophylaxe als günstig. Anaphylaktische Reaktionen nach intravenöser Verabreichung waren in Studien sehr selten. Bei subkutaner Anwendung kann es ähnlich wie bei der aktiven Immunisierung zu lokalen Reaktionen mit Rötung, Juckreiz, Schmerzen an der Einstichstelle und Ödem- oder Quaddelbildung kommen (24). Nach der positiven Bewertung der EMA erhielt Casirivimab/Imdevimab am 12.11.2021 die Markzulassung für die Europäische Union. Der EMA lagen die zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichten Phase 1 Daten zur wiederholten subkutanen Verabreichung von Casirivimab/Imdevimab bei gesunden Probanden vor (24). Es gibt bislang noch keine Daten für einen Verabreichungszeitraum über 24 Woche hinaus (max. 6 Verabreichungen).

Patientengruppen und Indikationsstellung
Die passive Immunisierung soll Patientengruppen angeboten werden, welche durch Immunsuppression, z.B. in Rahmen einer hämato-onkologischen Grunderkrankung, einer Therapie mit Zytostatika oder Immunsuppressiva, einem angeborenen oder anderweitig erworbenen Immundefekt, ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf im Falle einer SARS-CoV-2 Infektion aufweisen und serologisch nachweislich nicht ausreichend auf eine aktive Immunisierung mit einem der verfügbaren Impfstoffe angesprochen haben.

Voraussetzung für die Durchführung einer SARS-CoV-2 PrEP mit nMABs:
▪ Alter von mindestens 12 Jahren (konform Studienpopulation und Zulassung)
▪ Es besteht eine Grunderkrankung oder Therapie, die mit einer Immunsuppression bzw. relevanten Beeinträchtigung der Impfantwort einhergeht (13).
▪ Es liegt ein aktueller negativer SARS-CoV-2 Virusnachweis (bevorzugt PCR Test) vor (nicht älter als 3 Tage vor Beginn der PrEP).
▪ Es ist ein Versuch der aktiven Immunisierung nach aktueller STIKO-Empfehlung (Prime-Boost-Boost) mit einem der zugelassenen Impfpräparate gegen SARS-CoV-2 durchgeführt worden (13).
▪ Nachweis eines serologischen Impfversagens mit fehlendem IgG-Antikörpernachweis 4 Wochen nach vollständigem Impfschema mit abgeschlossener Booster-Impfung

Die Durchführung der SARS-CoV-2PrEP können Sie dem Positionspapier entnehmen.

Kostenerstattung
Die SARS-CoV-2 PrEP ist derzeit kein Leistungsbestandteil der gesetzlichen Kostenträger, weshalb die Erstattungssituation für regulär bezogene Arzneimittel trotz Zulassung unklar ist. Casirivimab/Imdevimab ist derzeit weiterhin im Rahmen der Anschaffung für die Bundesnotfallreserve erhältlich. Die Verwendung und Erstattung ist in der MAKV geregelt (25), wobei nach Änderungsverordnung vom 23.11.2021 auch eine prophylaktische Nutzung vorgesehen ist. Aktuelle Verordnungen des BMG sind unter www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen.html verfügbar.

Drucken Sie sich das Positionspapier aus und besprechen Sie mit Ihrem Arzt die Möglichkeiten im Falle einer Infektion, insbesondere dann, wenn Sie zu all jenen PatientInnen gehören, die man gegen Covid-19 mit den derzeit zur Verfügung stehenden Impfstoffen nicht impfen kann. Eine Liste mit allen Krankenhäusern in Deutschland, die eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern anbieten finden Sie unterhalb des Positionspapieres ebenso zum Download.

Sollten Sie noch weitere Fragen haben, stehen wir Ihnen zur Verfügung:
beratung@urtikariaverband.eu

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